Ein romantisiertes Märchen

Das Bild von friedlich grasenden Kühen auf einer Bergwiese ist für viele der Inbegriff von „artgerechter“ Tierhaltung. Sonnenlicht, frisches Gras, klare Luft – klingt nach einem besseren Leben als im Stall. Aber diese Idylle blendet den größten Teil der Realität aus.

  1. Alm bedeutet nicht Freiheit
    Ja, die Kühe dürfen sich auf einer größeren Fläche bewegen. Aber sie sind dort nicht, weil sie „glücklich“ sind, sondern weil es wirtschaftlich Sinn ergibt: Im Sommer wird das Berggras genutzt, das sonst brachliegen würde. Die Tiere werden weiterhin gezüchtet, um Milch oder Fleisch zu liefern. Das Ziel bleibt: maximale Leistung, nicht maximales Wohlbefinden.

  2. Kurzzeit-Idylle, Langzeit-Ausbeutung
    Die Kühe verbringen nur wenige Monate auf der Alm. Den Rest des Jahres sind sie im Stall, oft angebunden oder auf engem Raum. Die Trennung von Mutter und Kalb geschieht meist schon nach Stunden oder Tagen – auch auf der Alm. Glücklich ist da höchstens die Marketingabteilung der Milchindustrie.

  3. Hochgezüchtet bis an die Schmerzgrenze
    Die meisten Milchkühe – auch auf der Alm – sind Hochleistungsrassen, die auf extrem hohe Milchmengen gezüchtet wurden. Eine „normale“ Kuh würde vielleicht 5–8 Liter am Tag geben. Heute sind es oft 25–40 Liter, manche sogar mehr. Das belastet den Körper massiv: Euterentzündungen, Stoffwechselprobleme, Gelenkschäden sind direkte Folgen dieser Zucht. Almwiesen ändern daran nichts – die biologische Realität bleibt Ausbeutung.

  4. Belastung und Risiken
    Der Almsommer kann für Kühe sogar gefährlich sein: steile Hänge, Parasiten, Unfälle oder Wetterextreme sind nicht selten. Verletzte Tiere werden oft nicht vor Ort versorgt, sondern ins Tal gebracht und geschlachtet. Das Bild vom „Wellnessurlaub für Kühe“ ist eine romantische Projektion, die die wirtschaftliche Realität verdeckt.

  5. Das Ende ist immer dasselbe
    Ob Alm oder Massentierhaltung – das Leben der Kuh endet, sobald sie nicht mehr rentabel ist. Eine „glückliche“ Kuh mit vier oder fünf Jahren wird geschlachtet, obwohl sie eigentlich 20 Jahre alt werden könnte.

  6. Warum das Narrativ funktioniert
    Die Alm-Kulisse dient vor allem dazu, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen. Wer die Kuh zwischen Blumenwiesen sieht, denkt weniger an Tierleid und mehr an Alpenromantik – genau so, wie es die Milchwerbung will.

Fazit:
Die Frage ist nicht, ob Kühe auf der Alm relativ besser leben als in einer Betonhalle. Die Frage ist, ob wir ein System, das auf der systematischen Hochzüchtung, Nutzung und Tötung fühlender Lebewesen basiert, durch ein paar Sommerwochen im Grünen als „gut“ bewerten können. Wer ernsthaft über Tierwohl sprechen will, darf sich nicht mit dem Alm-Postkartenmotiv zufriedengeben.