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Wie die Lebensmittel- und Tierindustrie uns seit Jahren das Bild vom „glücklichen Nutzvieh“ vorgaukelt
Wenn wir im Supermarkt Milch, Fleisch oder Eier kaufen, lächeln uns oft friedliche Kühe von grünen Weiden entgegen. Verpackungen zeigen Hühner, die in der Sonne scharren, oder Schweine, die sich im Stroh wälzen. Dieses Bild prägt unsere Vorstellung von der Tierhaltung: Wir möchten glauben, dass „unsere“ Nutztiere artgerecht und glücklich leben, bevor sie uns ernähren. Doch wie viel Realität steckt hinter diesem idyllischen Bild?
Die Macht der Bilder
Die Werbung spielt gezielt mit unseren Emotionen. Schon in den 1950er-Jahren begannen große Lebensmittelkonzerne damit, Idylle zu inszenieren: Landwirte mit Strohhut, grüne Hügel, freilaufende Tiere. Auch heute finden wir auf vielen Verpackungen kleine Zeichnungen von Bauernhöfen, die mehr mit einem Märchenbuch als mit moderner Tierhaltung zu tun haben.
Der Grund ist klar: Die Industrie weiß, dass Konsumenten Tierwohl wichtig ist. Laut einer Umfrage des BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) sagen über 80 % der Deutschen, dass sie wollen, dass Nutztiere artgerecht gehalten werden. Gleichzeitig kaufen die meisten weiterhin günstige Produkte aus Massentierhaltung.
Die Bilder auf den Verpackungen helfen, diesen Widerspruch zu übertünchen: Wer „glückliche Kühe“ sieht, fragt weniger nach, wie die Tiere wirklich leben.
Die Realität hinter den Kulissen
In der Realität sieht die Nutztierhaltung in vielen Fällen ganz anders aus:
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Rund 95 % der Mastschweine in Deutschland werden in industriellen Ställen ohne Auslauf gehalten. Sie stehen auf Spaltenböden in kargen Buchten, oft mit wenig Platz und ohne Stroh.
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Hühner für die Eierproduktion (Legehennen) leben häufig in Boden- oder Käfighaltung mit Tausenden Artgenossen auf engem Raum. Auch „Freiland“ bedeutet meist nicht idyllische Wiesen, sondern einen überdachten Auslauf und dichte Besatzung.
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Kühe verbringen in vielen Betrieben ihr Leben im Stall und sehen kaum je eine Weide.
Das bedeutet nicht, dass es gar keine Betriebe gibt, die artgerechter wirtschaften — Bio-Betriebe und kleinere Höfe halten Tiere oft besser. Aber diese Produkte machen nur einen kleinen Teil des Marktes aus und sind deutlich teurer.
Warum das Problem bestehen bleibt
Die Täuschung funktioniert, weil sie rechtlich möglich ist. Begriffe wie „Bauernhof“, „frisch vom Land“ oder Bilder von Tieren im Grünen sind nicht geschützt. Selbst Produkte aus intensiver Massentierhaltung dürfen damit werben. Nur verbindliche Siegel (wie „Bio“) oder neue staatliche Tierwohlkennzeichen liefern tatsächlich Informationen über die Haltungsbedingungen — wenn man darauf achtet.
Zudem bleibt der Preis für viele Konsumenten das entscheidende Kriterium: Für ein Stück Fleisch vom Discounter, das weniger kostet als eine Tasse Kaffee, kann keine extensive Tierhaltung finanziert werden.
Die Tier- und Lebensmittelindustrie lebt von unserem Wunschbild des glücklichen Tieres. Dieses Bild wird mit Hilfe von Werbung und Verpackungsdesign gezielt verstärkt — oft weit entfernt von der Realität. Wer das ändern möchte, sollte sich informieren, kritisch hinterfragen und sein Konsumverhalten überdenken.
Die Traurige Wahrheit
🐖 Investigative Enthüllungen bei Betrieben mit Tierwohl-Siegeln
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Animal Rights Watch (ARIWA) dokumentierte jüngst in 21 Schweinehaltungen in sechs Bundesländern erhebliche Missstände – obwohl die Betriebe mit Haltungsform 3 oder 4 werben. In mehr als der Hälfte der Fälle wurde Strafanzeige wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz gestellt. ARIWA Tierwohl-Lüge.
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ARD-Report Mainz veröffentlichte zugespielte Aufnahmen aus Betrieben der Haltungsstufe 3 in der Schweineaufzucht, die Tierquälerei zeigen. In zwei von drei Fällen ermittelt mittlerweile die Staatsanwaltschaft. Erstes Deutsches Fernsehen (ARD) Schweinezucht.
🏭 Konzerne mit irreführender Werbung
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Der Fleischverarbeiter Vion warb mit artgerechter Haltung, doch eine NDR-Recherche deckte auf, dass Tiere verletzt oder verstümmelt gehalten wurden – Prüforganisationen, die Qualität garantieren sollten, existierten zum Teil gar nicht mehr. Wikipedia
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Auch große Konzerne wie Westfleisch standen im Fokus: Recherchen von Tierschutzorganisationen dokumentierten u. a. unbehandelte Wunden, Abszesse und tote Tiere in Zulieferbetrieben – obwohl offiziell Tierwohl beteuert wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt Wikipedia.
⚖ Häufige Verstöße im Schlachthof & bei Tiervermarktung
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Eine Studie von Veterinärien ergab, dass in deutschen Schlachthöfen häufige Verstöße gegen Tierschutzregelungen vorkommen – darunter Einsatz illegaler Treibhilfen, unsachgemäße Betäubung und Fehlbehandlung von kranken Tieren FrontiersPMC.
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Foodwatch berichtet: In 150 untersuchten Fällen von 2018–2020 führten nur 11 Anzeigen überhaupt zu einer Verurteilung – trotz dokumentierter Verstöße bei Haltung, Transport und Schlachtung Foodwatch EN.
🏷 Kritik am Tierwohl-Label-System
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Die freiwillige Haltungsform-Kennzeichnung (Stufen 1–4) wurde als irreführend eingestuft:
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Konsumenten schätzen meist nur die Mastphase ein, wichtige Praktiken wie Schnabelkürzen, betäubungslose Kastration oder Kastenstandhaltung bleiben ungekennzeichnet. Wikipedia
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Bei Haltungsform 3 & 4 kann dennoch erhebliche Tierquälerei vorkommen, wie oben gezeigt.
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Konsumentenschützer und NGOs fordern deshalb verbindliche, staatliche Labels – und weniger Freiwilligkeit. Erstes Deutsches Fernsehen (ARD).
🔍 Fazit: Die Diskrepanz zwischen Werbung und Realität
| Erwartung | Reale Situation |
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| Tierwohl-Siegel = artgerechte Haltung | Dokumentierte Missstände trotz Siegel |
| Freiwillige Label sorgen für Transparenz | Häufige Verstöße & kaum rechtliche Konsequenzen |
| Konzerne garantieren Tierwohl | Recherchen decken Verstöße auf |
Diese Fakten zeigen: Bildsprache, Label und Marketing wecken häufig falsche Vorstellungen. Realität sind systematische Verstöße trotz vermeintlicher Tierwohl-Zertifizierung.














