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Vom Meer in den Kochtopf
Nein, Hummer sind nicht von Natur aus rot. Sie haben von Natur aus ein unscheinbares Braungrün, fast als wollten sie sich verstecken vor dem, was kommt.
Gefangen in Reusen oder Schleppnetzen, endet das Leben des Hummers abrupt. Statt weiter durch felsige Meereslandschaften zu kriechen, landet er in einer engen Transportkiste, oft mit zusammengebundenen Scheren. Bewegung ist kaum möglich. Auf Eis gelagert, bleibt er bei vollem Bewusstsein, denn Kälte betäubt ihn nicht wirklich – sie lähmt nur.
Im Kochtopf wartet das nächste Grauen: kochendes Wasser. Ohne vorherige Betäubung wird der Hummer hineingegeben – lebendig. Sein Körper beginnt sich zu verkrampfen, Eiweiße gerinnen, der Panzer färbt sich rot. Laut Studien kann es bis zu drei Minuten dauern, bis sein Herz aufhört zu schlagen. In dieser Zeit ist sein Nervensystem weiterhin aktiv – und es gilt als sehr wahrscheinlich, dass er Schmerzen empfindet.
Wir nehmen seinen Schmerz nicht wahr, denn Hummer können nicht schreien. Was viele für einen Schrei halten, ist lediglich die Luft, die aus seinem Panzer entweicht. Doch sein Leid ist deshalb nicht weniger real.
Für den Menschen ein Genuss – für den Hummer ein qualvoller Tod.
Aquazuchten: Ohne Betäubung die Augenstiele abgeschnitten
In der Hummerzucht wird vielen Tieren die Spitze ihrer Augenstiele abgeschnitten – meist ohne Betäubung. Dahinter steckt ein Zweck: Ohne dieses kleine Stück Gewebe beginnen weibliche Hummer schneller, Eier zu produzieren. Für die Industrie bedeutet das mehr Nachwuchs in kürzerer Zeit.
Doch für die Tiere ist es ein brutaler Eingriff. Sie zeigen Stress, versuchen zu fliehen, hören auf zu fressen. Ihr Körper reagiert mit Schwäche, manche sterben früher. Alles nur, damit sie effizienter „funktionieren“. Dabei gäbe es längst tierfreundlichere Wege – man müsste sie nur gehen wollen.
Können Hummer Schmerzen empfinden?
Hummer haben kein zentrales Gehirn wie wir, sondern ein Nervensystem, das sich in mehreren Ganglien durch den Körper zieht. Lange wurde argumentiert, dass dieses primitive System nicht zur bewussten Schmerzwahrnehmung fähig sei. Doch neuere Studien deuten darauf hin, dass Hummer und andere Krebstiere sehr wohl leiden können.
Ein Forschungsteam der Queen’s University Belfast kam 2013 zu dem Schluss, dass Hummer und Krabben wahrscheinlich Schmerzen empfinden – nicht nur Reflexe zeigen. Sie vermeiden gezielt Orte, an denen sie vorher Elektroschocks erlitten haben, und zeigen komplexes Verhalten, das auf ein Bewusstsein ihres Leidens schließen lässt (Elwood & Appel, 2009).
Einfrieren als „humane“ Methode?
Einige Köche und Tierfreunde empfehlen, den Hummer vor dem Kochen für zwei Stunden ins Gefrierfach zu legen. Die Hoffnung: Der Stoffwechsel des Tieres verlangsamt sich, es wird „eingeschläfert“, bevor es ins kochende Wasser kommt.
Doch auch diese Methode ist umstritten.
Zwar wird der Hummer in der Kälte träger, doch Studien zeigen, dass sein Nervensystem selbst bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt weiterhin aktiv bleibt. Es ist daher fraglich, ob das Einfrieren wirklich eine Betäubung bewirkt oder nur eine Täuschung über den wahren Bewusstseinszustand des Tieres ist.
Länder wie die Schweiz, Norwegen oder Neuseeland haben das lebendige Kochen von Hummern bereits verboten – aus Tierschutzgründen. Sie verlangen stattdessen eine vorherige Betäubung, etwa durch Elektroschock oder mechanische Verfahren.
Zeit für ein Umdenken
Die Vorstellung, dass Tiere nur fühlen, wenn sie ein Gehirn wie wir haben, ist überholt. Schmerz ist ein evolutionäres Warnsystem – und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Natur es ausgerechnet bei Krebstieren weggelassen hat.
Auch wenn ein Hummer nicht schreien kann, leidet er – stumm und intensiv.
Quellen:
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Elwood, R. W., & Appel, M. (2009). Pain experience in hermit crabs? Animal Behaviour, 77(5), 1243–1246. https://doi.org/10.1016/j.anbehav.2009.01.028
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Diggles, B. K. (2019). Pain and stress in crustaceans? Applied Animal Behaviour Science, 220, 104857.
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BBC (2018). Lobsters may feel pain, so they shouldn’t be boiled alive, says Switzerland.
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The Guardian (2021). UK to formally recognise animals as sentient beings.














